Stefan O. J. Klein
Rechtsanwalt und Steuerberater Köln

Aktuelles
15.9.2025 | Einkommensteuer

Kaufpreisaufteilung bei Immobilien: BFH IX R 26/19 und Grenzen der BMF-Arbeitshilfe

Warum die Kaufpreisaufteilung die AfA bestimmt

Die steuerliche Abschreibung (AfA) bei vermieteten Immobilien knüpft ausschließlich an den Gebäudeanteil der Anschaffungskosten an – der Grund und Boden ist nicht abschreibbar. Wer den Kaufpreis sachgerecht auf „Gebäude“ und „Grund und Boden“ verteilt, beeinflusst damit die AfA-Bemessungsgrundlage und somit über viele Jahre hinweg die laufende Steuerbelastung. Genau an dieser neuralgischen Stelle setzt das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21.07.2020 (IX R 26/19) an: Es ordnet die Rolle vertraglicher Kaufpreisaufteilungen, die Tauglichkeit der BMF-Arbeitshilfe und die Pflichten der Finanzgerichte im Streitfall neu – mit spürbaren Folgen für die Praxis von Käufer:innen, Vermieter:innen, Investor:innen und Berater:innen.

Eine Besonderheit des Themas: In der Beratung treffen regelmäßig pauschale Prüfansätze der Verwaltung auf heterogene Immobilienrealität. Bodenrichtwerte bilden Trendlinien, aber keine Einzelwerte; Gebäudezustand, Ausstattung, Lagequalität und Mietverhältnisse variieren stark. Eine schematische Aufteilung nach Excel-Vorgaben führt deshalb nicht selten zu Ergebnissen, die den tatsächlichen Marktgegebenheiten nicht standhalten – und zu unnötig niedrigen AfA-Ansätzen.

Was der BFH in IX R 26/19 entschieden hat

Der Fall: Die Vertragsparteien hatten im notariellen Kaufvertrag eine Kaufpreisaufteilung vereinbart. Finanzamt und Finanzgericht ersetzten diese Aufteilung durch eine mit der BMF-Arbeitshilfe berechnete Quote. Der BFH hob das Urteil auf. Seine Kernaussagen lassen sich in drei Sätzen zusammenfassen:

Erstens: Eine vertragliche Kaufpreisaufteilung ist grundsätzlich zu respektieren. Korrigiert werden darf sie nur, wenn sie die realen Wertverhältnisse „in grundsätzlicher Weise verfehlt“ und wirtschaftlich nicht haltbar ist. Das ist erst nach Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen – Bodenrichtwertabweichungen sind Indizien, aber kein Automatismus.

Zweitens: Selbst wenn eine vertragliche Aufteilung zu verwerfen ist, darf das Gericht sie nicht schlicht durch die mittels BMF-Arbeitshilfe ermittelte Quote ersetzen. Die Arbeitshilfe ist keine Rechtsnorm, keine bindende Verwaltungsanweisung gegenüber dem Steuerpflichtigen und – prozessrechtlich betrachtet – bloß Parteivortrag der Finanzverwaltung.

Drittens: Im Streitfall hat das Finanzgericht die Aufteilung „nach realen Verkehrswerten“ vorzunehmen und muss regelmäßig ein Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen einholen, sofern es nicht ausnahmsweise selbst über die nötige Sachkunde verfügt und diese im Urteil begründet.

Methodische Grenzen der BMF-Arbeitshilfe

Die BFH-Kritik an der Arbeitshilfe ist inhaltlich: Das Tool verengt die Bewertung auf ein vereinfachtes Sachwertverfahren und stützt sich für den Gebäudewert auf bundesweite Normalherstellungskosten (NHK) ohne Orts- bzw. Regionalisierungsfaktor und ohne marktbezogenen Sachwertfaktor. Gerade in hochpreisigen Großstadtlagen oder bei hochwertigen/sanierten Beständen führt das tendenziell zu überhöhten Boden- und zu niedrigen Gebäudeanteilen. Kurz: Die Arbeitshilfe mag für eine Erstplausibilisierung im Massenverfahren brauchbar sein; sie liefert aber nicht automatisch eine marktgerechte Aufteilung.

Demgegenüber verlangt die Immobilienwertermittlung nach ImmoWertV eine begründete Wahl des Bewertungsverfahrens: Vergleichswert, Ertragswert, Sachwert – je nach Objektart, Datenlage und Markt. Für vermietete Bestandswohnungen ist das Ertragswertverfahren häufig aussagekräftiger, weil es die am Markt erzielbaren Mieten und Kapitalisierungsbedingungen abbildet. In homogenen Wohnungsmärkten mit vielen Vergleichsverkäufen kann das Vergleichswertverfahren die Realität sogar am besten treffen. Die pauschale Reduktion auf NHK-Modelle ohne Marktanpassung verfehlt diesen Ansatz.

Was Finanzgerichte im Streitfall tun müssen

Der BFH formuliert eine klare Erwartung: Liegt die Aufteilung im Streit, erhebt eine Partei substanzielle Einwände und fehlt dem Gericht eigene, dokumentierte Sachkunde, ist regelmäßig ein unabhängiges Sachverständigengutachten einzuholen. Ein Gutachten des Bausachverständigen der Finanzverwaltung bleibt ein Privatgutachten; es trägt nur, wenn niemand substanzielle Einwände vorbringt. Damit hebt der BFH die Beweisaufnahme auf ein professionelles Fundament – und beugt dem Risiko schematischer „Excel-Urteile“ vor.

Für die Praxis bedeutet das: Steuerpflichtige haben echte Chancen, eine marktgerechte, höhere Gebäudequote – und damit eine tragfähige AfA-Basis – durchzusetzen, wenn sie methodisch sauber argumentieren und die tatsächlichen Objektmerkmale belegen.

Praxisleitfaden: So sichern Sie eine marktgerechte Kaufpreisaufteilung

Vor dem Kauf und beim Notartermin

Begründete Vertragsklausel statt bloßer Zahl

Eine vertragliche Kaufpreisaufteilung darf weiterhin vereinbart werden. Ihr Gewicht steigt, wenn sie nachvollziehbar hergeleitet ist. Empfehlenswert ist eine Klausel, die die angewandte Bewertungslogik umreißt (z. B. „Aufteilung orientiert an Ertragswertparametern/vergleichbaren Transaktionen“), wesentliche Objektmerkmale aufführt (Baujahr, Sanierungen, Ausstattung, Lage im Gebäude, Balkon/Loggia, Stellplatz, energetischer Zustand) und auf verfügbare Marktdaten verweist.

Objektmerkmale systematisch dokumentieren

Sammeln Sie Unterlagen, die die Gebäudequalität stützen: Sanierungs- und Modernisierungsnachweise, Energieausweis, Grundrisse, Baubeschreibung, Fotos der relevanten Ausstattungen. Notieren Sie Wohnwertfaktoren (Lärm, Belichtung, Blick, Grundrissgüte). Je belastbarer die Dokumentation, desto plausibler die Vertragsaufteilung.

Nach dem Kauf und im Veranlagungsverfahren

Plausibilisierung mit Marktbezug

Wenn das Finanzamt die vertragliche Aufteilung in Zweifel zieht, reagieren Sie nicht mit bloßen Gegenbehauptungen, sondern mit Marktbezug: Auszüge aus Grundstücksmarktberichten, Vergleichskaufpreisen, Mietspiegeln, Marktreports. Zeigen Sie, dass die Gebäudeeigenschaften einen höheren Gebäudewert rechtfertigen – oder dass der Bodenrichtwert am Standort den Einzelstandort nicht adäquat trifft (z. B. Lage zwischen Bahntrasse und Ausfallstraße).

Wahl des Wertermittlungsverfahrens begründen

Argumentieren Sie, warum das Ertragswert- oder Vergleichswertverfahren für die konkrete Wohnung geeigneter ist als ein pauschales Sachwertmodell: Vermietungsstand, erzielbare Mieten, Liegenschaftszinssätze, Marktliquidität. Eine kurze, fachlich belastbare Begründung erhöht Ihre Durchsetzungskraft. Wo es wirtschaftlich sinnvoll ist, holen Sie frühzeitig ein unabhängiges Sachverständigengutachten ein.

Typische Fehler vermeiden, Chancen nutzen

Umgang mit Bodenrichtwerten

Bodenrichtwerte sind Indikatoren – nicht das letztverbindliche Einzelwert-Diktat. Große Abweichungen zur Vertragsaufteilung sind ein Warnsignal, aber kein K.-o.-Kriterium. Entscheidend ist, ob Besonderheiten des Grundstücks oder des Gebäudes die Abweichung erklären: Zuschnitt, Höhenlage, Erschließung, Immissionen, besondere Außenanlagen – oder umgekehrt besondere Gebäudewerte durch Sanierung und Ausstattung. Halten Sie diese Argumente schriftlich fest.

Wann ein Gutachten wirtschaftlich sinnvoll ist

Ein Gutachten kostet – bringt aber oft mehr AfA ein, als es kostet. Faustregel aus der Beratung: Wenn die vom Amt favorisierte Aufteilung den Gebäudeanteil sichtbar drückt (z. B. von 70 % auf 40 % oder weniger) und ein realistischer Marktansatz deutlich höhere Gebäudequoten erwarten lässt, rechnet sich ein qualifiziertes Gutachten über die Laufzeit der AfA nahezu immer. Prüfen Sie das über eine einfache Mehrjahresrechnung.

Einspruch und Klage strategisch führen

Im Einspruchsverfahren sollten Sie die methodischen Grenzen der Arbeitshilfe sauber herausarbeiten und zugleich eine positive Alternative anbieten: marktbezogene Herleitung, bevorzugtes Verfahren mit kurzen Parametern, Belegstellen. Kommt es zur Klage, beantragen Sie früh die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Weisen Sie darauf hin, dass ein Verwaltungs-Gutachten prozessual ein Privatgutachten ist, und legen Sie – wenn möglich – eine eigene Stellungnahme vor, die konkrete Parameter angreift (z. B. Liegenschaftszins, Restnutzungsdauer, marktübliche Mieten, Qualitätsabschläge).

Was die Entscheidung für Ihre Kanzlei-Kommunikation bedeutet

Das Urteil ist ein idealer „Evergreen“ für Ihre Website, weil es Praxisnähe (AfA-Hebel) und klare rechtliche Leitplanken vereint. Statt eine abstrakte Urteilszusammenfassung zu veröffentlichen, sollten Sie Mandant:innen mit einem kurzen Handlungsrahmen abholen: Wie formuliere ich eine sinnvolle Notar-Klausel? Welche Unterlagen sollte ich sammeln? Wann lohnt ein Gutachten? Wie widerspreche ich einer offenkundig verzerrten Arbeitshilfe-Quote? Flankieren Sie dies mit einem niedrigschwelligen Angebot – etwa einem „AfA-Check“ oder einer Erstprüfung der Vertragsaufteilung – und der Koordination eines vereidigten Sachverständigen. So verknüpfen Sie Rechtsprechung mit konkretem Nutzen.

FAQ zur Kaufpreisaufteilung, AfA und BFH-Urteil

Ist die BMF-Arbeitshilfe verbindlich?

Nein. Sie ist ein Hilfsmittel der Verwaltung, aber keine bindende Rechtsquelle gegenüber Steuerpflichtigen. Im Streitfall ersetzt sie nicht die gebotene Aufteilung nach realen Verkehrswerten.

Reicht eine Notar-Klausel ohne Begründung?

Eine reine Zahl ohne Herleitung ist schwach. Eine begründete Klausel mit objekt- und marktbezogenen Argumenten hat deutlich mehr Bestand – vor allem, wenn die Dokumentation den Inhalt stützt.

Welches Bewertungsverfahren ist „richtig“?

Das hängt vom Objekt und der Datenlage ab. Bei vermieteten Bestandswohnungen ist häufig der Ertragswert geeignet, bei homogenen Märkten der Vergleichswert; der Sachwert kann ergänzen – aber nicht pauschal dominieren.

Muss das Finanzgericht immer ein Gutachten einholen?

Regelmäßig ja, sofern es nicht ausnahmsweise selbst dokumentiert sachkundig ist. Ein Verwaltungs-Gutachten ist prozessual ein Privatgutachten; es trägt nur ohne substanzielle Gegenargumente.

Fazit: Marktgerecht statt schematisch

Die BFH-Linie stärkt die Einzelfallgerechtigkeit. Vertragsaufteilungen bleiben möglich, aber sie müssen plausibel sein. Die BMF-Arbeitshilfe kann ein Startpunkt sein, ist aber kein Ziel. Wer früh dokumentiert, methodisch argumentiert und – wo nötig – ein Sachverständigengutachten einsetzt, sichert eine realistische, meist höhere AfA-Basis. Das Ergebnis sind rechtssichere, planbare Abschreibungen und weniger Streit – und genau das will § 7 EStG: eine periodengerechte, nicht zufällige Verteilung der Anschaffungskosten des Gebäudes.


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