Am 9. April 2025 hat der BFH (II R 48/21) eine für die Vertrags- und Nachfolgegestaltung hochrelevante Linie bestätigt und präzisiert: Wird vor der Ehe vertraglich vereinbart, dass ein Ehegatte für den Verzicht auf Zugewinnausgleich, nachehelichen Unterhalt und Hausratsaufteilung eine Pauschalabfindung erhält – und wird diese Abfindung (hier: durch Grundstücksübertragung) später tatsächlich geleistet –, dann ist diese Leistung schenkungsteuerpflichtig. Der Verzicht gilt nicht als anrechenbare Gegenleistung. Der BFH stützt dies maßgeblich auf § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG (freigebige Zuwendung) in Verbindung mit § 7 Abs. 3 ErbStG (Gegenleistungen, die nicht in Geld veranschlagt werden können). Zugleich grenzt der BFH klar zur Bedarfsabfindung ab – eine Unterscheidung mit erheblichen Praxisfolgen für Notariat, Familien- und Steuerrecht.
Was genau hat der BFH entschieden – und warum ist der Verzicht keine Gegenleistung?
Der Sachverhalt in Kürze: Vor der Heirat vereinbaren die künftigen Eheleute notariell u.a. den Ausschluss/Verzicht nachehelicher Ansprüche (Zugewinn, Unterhalt, Hausrat). Als „Kompensation“ verpflichtet sich der künftige Ehemann zur Übertragung eines Hausgrundstücks binnen 12 Monaten nach Eheschließung. Nach der Heirat erfolgt die Übertragung. Das Finanzamt setzt Schenkungsteuer fest und rechnet – folgerichtig – die übernommene Schenkungsteuer als weitere Zuwendung hinzu (sog. Bruttierung).
Die Kernaussage des BFH: Die Übertragung ist objektiv unentgeltlich, weil die „Gegenleistung“ – der Verzicht auf künftig möglicherweise entstehende nacheheliche Ansprüche – nicht bewertbar ist. Exakt hier greift § 7 Abs. 3 ErbStG: Gegenleistungen, die nicht in Geld veranschlagt werden können, bleiben bei der Feststellung der Bereicherung außer Betracht. Das gilt für den Verzicht auf Zugewinnausgleich ebenso wie für den Verzicht auf nachehelichen Unterhalt und Hausratsaufteilung. Der Grund ist einleuchtend: Vor der Ehe ist ungewiss, ob und wann die Ehe endet, ob überhaupt ein Ausgleichsanspruch entsteht und in welcher Höhe. Auch Unterhaltsansprüche hängen von Bedürftigkeit, Leistungsfähigkeit und Rangverhältnissen ab – alles Variablen, die ex ante nicht seriös bezifferbar sind.
Subjektiver Tatbestand: Der BFH betont zudem, dass ein „Subsumtionsirrtum“ über die Entgeltlichkeit nicht hilft. Wer – beraten oder nicht – davon ausgeht, der Verzicht sei eine vollwertige Gegenleistung, irrt in einer rechtlichen Wertung, nicht in Tatsachen. Ein solcher Irrtum schließt die freigebige Zuwendung nicht aus. Mit anderen Worten: Die Unentgeltlichkeit war erkennbar – eine „Schenkungsabsicht“ im umgangssprachlichen Sinne braucht es ohnehin nicht.
Verfassungs- und Zivilrechtsbezug: Weder Art. 3 GG (Gleichheit) noch Art. 6 GG (Ehe/Familie) noch die zivilrechtliche Inhaltskontrolle von Eheverträgen ändern etwas an der schenkungsteuerlichen Bewertung. Selbst wenn zivilrechtlich Kompensation geboten erscheint, folgt daraus keine steuerliche Gleichsetzung mit einer bewertbaren Gegenleistung.
Praxis-Check: Pauschalabfindung vs. Bedarfsabfindung – so vermeiden Sie Schenkungsteuer
Der Dreh- und Angelpunkt ist die Konditionalität der Leistung:
- Pauschalabfindung: Der ausgleichende Vermögenstransfer (z. B. Geld, Wertpapierdepot, Grundstück) wird vorab fest vereinbart und ohne Bedingung „Scheidung“ gezahlt bzw. übertragen (oft kurz nach Eheschluss). Ergebnis: § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG greift; der Verzicht ist mangels Bewertbarkeit keine Gegenleistung (§ 7 Abs. 3 ErbStG). Schenkungsteuer fällt an.
- Bedarfsabfindung: Die Parteien bündeln im Ehevertrag die denkbaren Scheidungsfolgen und vereinbaren eine Zahlung erst im Scheidungsfall (typisch: Pauschale oder Formel). Hierbei handelt es sich nicht um eine freigebige Zuwendung, sondern um ein Scheidungsfolgen-Paket. Der BFH 2021 (II R 40/19) hat herausgestellt: Dieses Gesamtpaket ist nicht in Einzelleistungen aufzuspalten; die Zahlung ist aufschiebend bedingt (Scheidung) und wird erst dann fällig. Ergebnis: Regelmäßig keine Schenkungsteuer auf die Zahlung, weil sie nicht unentgeltlich im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erfolgt.
Praktische Konsequenz: Wer Schenkungsteuer-Risiken minimieren will, sollte keine vorweggenommene Pauschalabfindung „auf Vorrat“ leisten, sondern – soweit familienrechtlich vertretbar – Bedarfsabfindungen wählen, die ausschließlich für den Scheidungsfall gelten. Wichtig ist die saubere Vertragsarchitektur: Die Fälligkeit nur bei Scheidung, eindeutige Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB), klare Abgrenzung zu „Sofortleistungen“.
Steuerliche Folgen – Freibeträge, Steuersätze, Bruttierung
Kommt es – wie im BFH-Fall – zur Pauschalabfindung durch Grundstücksübertragung, gelten die allgemeinen Regeln der Schenkungsteuer:
- Persönliche Freibeträge: Zwischen Ehegatten/eingetragenen Lebenspartnern beträgt der Freibetrag 500.000 €. Wird vor der Ehe übertragen, greift der geringere Freibetrag der Steuerklasse I für „Verlobte“ nicht – es gibt schlicht keinen speziellen Freibetrag für Nicht-Ehegatten. Im entschiedenen Fall erfolgte die Übertragung nach der Eheschließung; der Freibetrag stand damit grundsätzlich zu.
- Steuerklassen/Steuersätze: Ehegatten fallen in Steuerklasse I mit den niedrigsten Sätzen. Gleichwohl können bei hohen Werten schnell erhebliche Steuerbeträge entstehen.
- Steuerübernahme = weitere Zuwendung: Übernimmt der Zuwendende die Schenkungsteuer (vertraglich häufig so vereinbart), ist diese selbst eine weitere Zuwendung und mit zu versteuern (Bruttierung). Das kann die effektive Steuerlast spürbar erhöhen.
- Grundstückswerte: Maßgeblich ist der steuerliche Grundbesitzwert; Abweichungen vom Verkehrswert sind möglich. Die Bewertungspraxis sollte frühzeitig geprüft werden (Stichwort: Gutachten, Feststellungsbescheid).
Praxis-Tipp: Bei geplanten Immobilienübertragungen im Kontext von Eheverträgen unbedingt Szenarien rechnen (mit/ohne Steuerübernahme, alternative Gestaltungen) und Zeitpunkte abstimmen. In vielen Fällen ist eine Bedarfsabfindung steuerlich günstiger – die Liquiditätsbelastung tritt dann nur im Scheidungsfall ein (und nicht als sofortige Schenkungsteuer).
Gestaltung & Beratung: Ehevertrag steuerfest strukturieren
Aus Kanzleisicht bietet die Entscheidung mehrere Hebel, um Mandanten proaktiv zu beraten:
- Frühe Steuerrechtsprüfung im Notariat-Workflow
Eheverträge sind nicht nur zivilrechtliche, sondern auch steuerliche Gestaltungen. Bringen Sie § 7 Abs. 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 3 ErbStG früh in die Diskussion, wenn über „Kompensationen“ gesprochen wird. - Klarer Fokus auf Bedarfsabfindungen
Wenn aus Gerechtigkeits- oder Planungsgründen eine pauschale Absicherung gewünscht ist, prüfen Sie, ob diese ausschließlich „auf Bedingung Scheidung“ gestellt werden kann. Wichtig: Keine Vorleistungen (keine Vorausübertragungen, keine treuhänderische Hinterlegung zugunsten des anderen Ehegatten), die den Charakter der Gegenwärtigkeit einer Zuwendung annehmen. - Keine „Mischformen“ ohne strikte Bedingung
Vertragskonvolute, die neben einer bedingten Zahlung auch sofortige Transferleistungen enthalten, bergen Schenkungsteuer-Risiken für die Sofortleistungen. Trennen Sie sauber: Alles, was heute übertragen wird, muss sich an § 7 messen lassen. - Steuerübernahme verhandeln
Wird die Schenkungsteuer übernommen, steigt die effektive Steuerlast. Prüfen Sie, ob eine Nettoabrede (Steuer trägt der/die Empfänger:in) in Betracht kommt – auch wenn dies zivilrechtlich/psychologisch sensibel sein kann. - Dokumentation der Motive ist kein Schutzschild
Hinweise der beteiligten Rechtsberater („ohne Abfindung wäre der Vertrag sittenwidrig“) ändern steuerlich nichts. Der BFH betrachtet das als unbeachtlichen Subsumtionsirrtum. Verlassen Sie sich nicht auf Motivlagen – strukturieren Sie die Leistung rechtlich bedingt. - Timing & Evaluation
Gerade bei Unternehmer:innen und Vermögenden mit stark schwankenden Vermögenspositionen lohnt sich eine periodische Review: Passen die vertraglichen Pauschalen, gibt es bessere Formelmodelle für den Scheidungsfall, sind Versicherungslösungen denkbar?
Kurze „Do/Don’t“-Checkliste
Do (tendenziell schenkungsteuerneutral):
- Abfindung nur für den Scheidungsfall vereinbaren (aufschiebend bedingt, klare Fälligkeitsregel).
- Keine Vorabübertragungen anstoßen; keine vorzeitige Erfüllung versprechen.
- Bewertungsformeln/Berechnungsmethoden für den Bedarfsfall definieren (Transparenz, aber keine Gegenwartsleistung).
Don’t (typisch schenkungsteuerpflichtig):
- Pauschalabfindung vor oder unmittelbar nach Eheschließung ohne Bedingung Scheidung leisten.
- Pauschalabfindung durch dingliche Übertragung (z. B. Grundstück) „auf Vorrat“ erfüllen.
- Steuerübernahme bedenkenlos versprechen (führt zur Bruttierung).
FAQs zur Schenkungsteuer bei Eheverträgen
Ist ein Verzicht auf Zugewinnausgleich und Unterhalt nie eine Gegenleistung?
Im Zeitpunkt vor der Ehe: ja, denn der Wert dieser künftigen, ungewissen Ansprüche ist nicht verlässlich bezifferbar. Deshalb greift § 7 Abs. 3 ErbStG – der Verzicht wird nicht angerechnet.
Wann ist eine Abfindung schenkungsteuerlich unschädlich?
Wenn sie nur im Scheidungsfall fällig wird (Bedarfsabfindung). Dann zahlt man nicht „für nichts“, sondern erfüllt ein vertragliches Gesamtpaket für den konkreten Bedarfsfall – das ist regelmäßig keine freigebige Zuwendung.
Gilt das auch, wenn eine Immobilie übertragen wird?
Ja. Gerade Immobilienübertragungen als Pauschalabfindung lösen in der Praxis hohe Schenkungsteuer aus – zumal bei Steuerübernahme des Zuwendenden.
Hilft es, dass der Vertrag sonst sittenwidrig wäre?
Zivilrechtliche Erwägungen zur Inhaltskontrolle schützen nicht vor Schenkungsteuer. Ein Irrtum über die „Entgeltlichkeit“ ist steuerlich unbeachtlich.
Spielt der Zeitpunkt der Übertragung (vor/nach der Ehe) eine Rolle?
Ja, insbesondere für Freibeträge. Erfolgt die Übertragung nach der Heirat, steht der Freibetrag von 500.000 € zur Verfügung (Steuerklasse I). Vor der Heirat gibt es keinen entsprechenden Freibetrag.
Fazit
Das Urteil II R 48/21 ist ein Weckruf für die Gestaltungspraxis: Pauschalabfindungen zur „Absicherung“ eines Verzichts auf nacheheliche Ansprüche sind – selbst wenn aus zivilrechtlicher Fairness motiviert – schenkungsteuerliche Minenfelder. Wer Schenkungsteuer vermeiden will, muss die Leistung konsequent auf den Bedarfsfall Scheidung konditionieren und sofortige Vermögenstransfers vermeiden. Für Kanzleien bietet das Thema erhebliches Beratungspotenzial: von der Prüfung bestehender Eheverträge über die strukturierte Neu-Gestaltung bis zur Bewertung und Liquiditätsplanung bei Immobilienabfindungen. Die klare Abgrenzung zur Bedarfsabfindung verschafft Mandant:innen Rechtssicherheit, wenn sie konsequent umgesetzt wird – und sie schützt vor unnötiger Steuerbelastung.
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