Stefan O. J. Klein
Rechtsanwalt und Steuerberater Köln

Aktuelles
28.5.2024 | Kassenbuchführung

Schätzungsbefugnis bei manipulierbaren Kassensystemen

Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. November 2023, Aktenzeichen X R 3/22, befasst sich mit der Schätzungsbefugnis der Finanzverwaltung bei Verwendung manipulierbarer Kassensysteme und der zeitlichen Erfassung von Gutscheinen in einer Einnahmen-Überschuss-Rechnung. Die Entscheidung bietet wesentliche Einblicke in die rechtlichen Anforderungen an die Kassenbuchführung und die Bedingungen, unter denen das Finanzamt zu einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen berechtigt ist.

Sachverhalt

Der Kläger betrieb in den Jahren 2011 bis 2014 ein Restaurant, dessen Einnahmen er mittels einer gebrauchten elektronischen Registrierkasse des Modells SKS TS 400 erfasste. Diese Kasse war von 1987 bis 2002 in Deutschland im Vertrieb, wobei die zugrunde liegende Software in den Jahren 1987 und 1988 entwickelt wurde. Aufgrund der begrenzten Speicherkapazität konnten die Kasseneinzeldaten nur für kurze Zeiträume gespeichert werden. Während der Betriebsprüfungen legte der Kläger lediglich Tagesendsummenbons vor, die täglichen Erlössummen enthielten, jedoch keine detaillierten Einnahmeursprungsaufzeichnungen.

Zudem wurde festgestellt, dass die Kasse objektiv manipulierbar war, beispielsweise durch die Möglichkeit, den Z1-Zähler ohne Dokumentation zu verändern. Über die Jahre hinweg hatte der Kläger auch Gutscheine verwendet, deren Einnahmen unterschiedlich behandelt wurden, abhängig vom jeweiligen Verrechnungsmodell.

Hintergrund

Die ordnungsgemäße Kassenbuchführung ist eine zentrale Verpflichtung für Steuerpflichtige, um die Vollständigkeit und Richtigkeit der erfassten Einnahmen zu gewährleisten. Nach § 145 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) müssen Aufzeichnungen so geführt werden, dass sie den Zweck der Besteuerung erfüllen. Wenn die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie gemäß § 162 Abs. 1 AO das Recht, diese zu schätzen. Dies gilt insbesondere bei Mängeln in der Kassenführung, die Anlass geben, die sachliche Richtigkeit der Gewinnermittlung anzuzweifeln.

Entscheidung

Der BFH stellte in seinem Urteil klar, dass die Verwendung eines manipulierbaren Kassensystems einen formellen Mangel von erheblichem Gewicht darstellt. Allerdings wurde betont, dass das Gewicht dieses Mangels im Einzelfall relativiert werden kann, wenn das Kassensystem zur Zeit seiner Nutzung verbreitet und allgemein akzeptiert war und keine tatsächliche Manipulation nachgewiesen werden konnte. In solchen Fällen ist eine Vollschätzung, die die gesamte Gewinnermittlung des Steuerpflichtigen verwirft, nur bei gravierenden Mängeln gerechtfertigt.

Formelle Mängel und Manipulierbarkeit:

  • Die Kasse des Klägers war objektiv manipulierbar, da der Z1-Zähler beliebig verändert werden konnte. Dies widerspricht den Anforderungen des § 145 Abs. 2 AO, da die lückenlose Abfolge der Z1-Bons nicht gewährleistet war.
  • Dennoch kann das Gewicht dieses Mangels reduziert werden, wenn das Kassensystem damals verbreitet und von der Finanzverwaltung nicht beanstandet war.

Materielle Mängel:

  • Der BFH hob hervor, dass materielle Mängel vorliegen müssen, um eine Vollschätzung zu rechtfertigen. Im vorliegenden Fall waren keine Manipulationen der Kasse nachweisbar, und es gab überobligatorische Aufzeichnungen, die eine hinreichende Gewähr für die Vollständigkeit der Einnahmenerfassung boten.

Gutscheinerfassung:

  • Die Behandlung von Gutscheinen in der Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung wurde dahingehend präzisiert, dass eine Einnahme erst im Zeitpunkt des Zahlungseingangs durch den Dritten zu erfassen ist und nicht bereits bei Übergabe des Gutscheins.

Zurückverweisung

Der BFH hob das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Das Finanzgericht muss dabei insbesondere prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Schätzung dem Grunde nach erfüllt sind und ob eine Vollschätzung angesichts der festgestellten Mängel verhältnismäßig ist. Dabei sind die allgemeinen Verhältnismäßigkeits- und Vertrauensschutzgrundsätze zu beachten.